17
Jan
2008

...

Ich kann mir nur noch einmal zu der Idee gratulieren einen Sprachkurs an der Uni zu machen. In den Kursunterlagen war zwar die Rede davon, daß die Klassen maximal acht Studenten haben würden. Mit Einzelunterricht hätte ich nun aber nicht gerechnet. Anna-Maria, die mir als Maestra für Literatur vorgestellt wurde, schickte mich in den Raum vierzehn, wo wir die nächsten zwei Stunden gemeinsam verbringen sollten. Und diese waren die reinste Tour de Force für mich. Ich war am Ende froh, nicht das volle Programm gebucht zu haben.

Als Anna-Maria mich fragte, was mich denn interessieren würde, zog ich ein paar Flugblätter aus der Tasche, die ich am Abend zuvor in die Hand gedrückt bekam und meinte, ich wolle besser verstehen, worum es bei den Konflikten in Oaxaca ginge, wer die APPO sei und wofür sie einstehe. Anna war nicht nur Lehrerin für Literatur, sondern auch für Geschichte. Um zu verstehen, was heute in Oaxaca passiere, sagte sie, müssten wir einen kleinen Exkurs in die Vergangenheit machen und begann bei der Revolution von 1910-17. In deren Folge wurde Mexiko ein föderalistischer Staat, aber das auch nur auf dem Papier. Denn die alte Verfassung wurde fast ohne Änderungen übernommen und alte Verwaltungsstrukturen blieben unangetastet. Die Oberschicht des Nordens, wichtigster Protagonist in der Revolution, hatte einfach nur die überalterte Führungsriege um Porforio Díaz abgesetzt und durch ihre eigenen Leute ersetzt. Sie waren diejenigen, die von der Revolution profitiert hatten, aber nicht die viele kleinen Leute, die an ihrer Seite gekämpft hatten. An denen und am Süden des Landes, d.h. im wesentlichen allen Staaten südlich der Ciudad de Mexico ging der nun folgende wirtschaftliche Aufschwung vorbei.

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Daß der Süden hinterher hing, hatte auch seine Ursache in der Geografie. Durch drei mächtige Gebirgszüge von den nördlichen Landesteilen abgeschnitten – die erste Straßenverbindung hier runter wurde 1943 gebaut – spielte er keine Rolle in der Revolution, die fast ausschließlich in den Staaten des Nordens stattfand. Darüber hinaus gab es im Süden eine viel größeren Anteil indigener Bevölkerung und somit eine viel stärkere Segregation, die bis weit in die siebziger Jahre hinein reichte. Hier hielt sich noch lange das von den Spaniern während der Kolonialzeit eingeführte Kastensystem, bestehend aus Creoles, Mestizos und Indiginas.

Wenn ich wissen wolle, wer die APPO sei und was ihre Ziele sind, müssten wir uns intensiver mit der Studentenbewegung der siebziger Jahre auseinander setzten. Deren Führer seien nämlich jetzt die entscheidenden Köpfe der APPO. Das stand aber erst für den nächsten Tag auf Anna-Marias Plan, an dem sie einen Text zu diesem Thema mit mir lesen wollte. Ich war heilfroh, daß wir das vertagen konnten. Mittlerweile war ich völlig fertig, denn die ganze Geschichtsstunde wurde komplett in Spanisch abgehalten. Daß ich das Subjunctivo nicht so recht beherrschte, wie Anna schon zu Beginn festgestellt hatte, war dabei kein Problem gewesen.

Als sie schon im Gehen war sagte Anna-Maria noch, daß sie das Thema sehr traurig mache. Sie ist dnämlich er Auffassung, daß die APPO die einfachen Leute belüge und mit revolutionären Phrasen verführe, ihre Protagonisten aber schön im Trockenen sitzen würden, in der Regierung und auf Lehrstühlen an der Uni. Ob dem wirkliche so ist, hoffe ich in den nächsten Wochen heraus zu finden. Annas Plan ist, mit mir Material durchzugehen, das möglichst alle Seiten der Auseinandersetzungen beleuchtet, damit ich mir ein umfassendes Bild machen könne. Sie möchte auch noch einen anderen Lehrer heranziehen, der auf Ökonomie spezialisiert ist und sich besser in Politik auskennen soll. Bin wirklich gespannt, was da noch auf mich zukommen wird.

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Nachdem ich todmüde zwei Stunden auf dem Bett gelegen hatte bin ich noch einmal los gezogen, ein Zimmer ansehen. Hatte im Hostal gefragt, ob sie mir einen Rabatt gewähren, wenn ich für mehrere Wochen im Voraus zahlen würde. Die Frau an der Rezeption erkundigte sich danach, empfahl mir aber gleichzeitig, ein Zimmer woanders zu nehmen, weil das billiger sei. Sie hatte auch gleich eine Adresse nicht weit vom Zocalo parat. Diese steuerte ich am frühen Abend an.

Das Haus hatte einen riesigen Innenhof, etwas steriler als der des Hostals, in dem man sehr schön sitzen konnte, auch wenn hier einige Autos geparkt waren. Das Zimmer selbst war auch nicht schlecht. Es war ungefähr so groß, wie mein neues im Hostal nur etwas großzügiger möbliert. Und es hatte ein eigenes Bad. Der Preis von 2100 Peso im Monat , siebzig am Tag, klang attraktiv. Da gab es nur noch zwei Dinge zu klären. Wer waren die Nachbarn und wie sah es mit einer Internetverbindung aus. Ersteres ließ sich ganz schnell klären, denn einige der potentiellen Mitbewohner waren zugegen, drei ältere Amerikanerinnen. Außerdem wohnten hier noch ein Franzose und einige Leute aus anderen Ländern. Alle Bewohner waren aber Ausländer. Das gefiel mir nicht so recht, auch wenn mir versichert wurde, daß man nur Spanisch sprechen würde. Zum K.O.-Kriterium könnte allerdings werden, daß es im Haus keinen Internetanschluß gibt, weder W-LAN noch fest installiert. Das heißt nämlich, daß ich jedes Mal, wenn ich ins Netz wollte, ins Internetcafé gehen müßte. Das kostete erstens wieder Geld und ist auf der anderen Seite mehr als lästig.
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