1
Feb
2008

...

Auf dem Weg zu meinem neuen Domizil kamen mir so einige Gedanken dazu, was für mich den eigentlichen Reiz des Reisens ausmache. Beim anschließenden Ausflug nach San Antonio de Etla gab es interessantes über die lokale Kulturszene und derer Protagonisten zu erfahren. Abends lernte ich beim Ziehen durch die Kneipen spannende Leute kennen, aber auch mir noch unbekannte Seiten eines neuen Freundes.

Der Abschied vom Santa Isabel fiel dann am Ende doch nicht so schwer. Am Abend bevor ich ausziehen mußte kam ein Typ rum, neue Jalousien anbringen. Ich döste zwar gerade so schön auf meinem Bett, da ich aber nun einmal wach war, ließ ich ihn einfach machen. Lieblos riß er das weiße Laken herunter, welches ich jeden Morgen zusammen knotete um die Sonne rein zu lassen und abends wieder herabließ und legte los. Und eine viertel Stunde später hing eine blaue Jalousie, so ein Aluteil mit anzukippenden Lamellen, vor dem Fenster und versperrte mir den Blick auf den Baum. Auf einen Schlag hatte mein Zimmer viel von seinem Charme verloren. Und das nicht nur weil der kalte Farbton so gar nicht zum Rot und Gelb der Wände und dem dunklen Braun der Möbel passen wollte.

Bin in aller Herrgottsfrühe, will sagen um sieben, aufgestanden, um mein Zeug noch vor dem Spanischunterricht zu Christina zu bringen. Noch halb im Schlaf habe ich mir meine beiden Rucksäcke übergeholfen, die Tasche mit dem Laptop geschnappt und bin den beiden an der Rezeption zum Abschied zunickend losgezogen.

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Ich hatte so ein eigenartiges, irgendwie kribbelndes Gefühl, als ich voll bepackt durch die gerade aufwachende Stadt zog. Da war etwas von Aufbruchstimmung, von Neuanfang. Mir wurde beim Marsch durch die noch angenehm kühlen Straßen klar, was für mich den eigentlichen Reiz des Reisens ausmachte. Es war nicht in erster Linie das Kennenlernen neuer Länder, Gegenden oder Städte, sonder vielmehr das Weiterziehen, wenn ich das Gefühl bekam, alles zu kennen, nichts neues mehr erleben zu können. Ich glaube, das ist es auch, was mich immer wieder aus Berlin weg treibt.

Es ist spannend darüber mal nachzudenken, denn das hat ja auch irgendwie etwas mit Flucht zu tun, einer Flucht davor mit sich selbst konfrontiert zu werden. Denn wenn keine neuen Reize von außen kommen, erreicht man zwangsläufig irgendwann den Punkt, an dem man sich mit sich selbst auseinander setzen muß. In Berlin ist mir das nie so recht klar geworden. Da war mein Leben ja voll von Routinen, die mich rund um die Woche beschäftigt haben. Eigentlich hatte ich dort kaum eine ruhige Minute. Und falls doch mal nichts angesagt war, hatte ich ja immer noch einen Haufen Bücher oder Videos, die Ablenkung versprachen.

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Hier ist das anders. Noch kenne ich nicht so viele Leute. Noch habe ich nicht irgend etwas an jedem Abend der Woche vor. Oft sitze ich stundenlang vor dem Laptop und lasse Revue passieren, was ich so erlebt habe. Und dabei schießen mir eben auch solche Gedanken durch den Kopf. Aber ich glaube, das war auch ein wenig der Plan, der hinter meinem Hiersein steckte. Ich wollte nicht nur ausprobieren wie es ist in einer fremden Stadt zu leben, sich dort neu einzurichten. Ich suchte wohl auch diese Konfrontation mit mir selbst. Ich bin mal gespannt wohin mich das führen wird.

Ich kam etwas früher an als ausgemacht bei Christina an und mußte etwas warten, bis Vanessa, eine meiner neuen Mitbewohnerinnen, aufmachte. Christina stand noch unter der Dusche. Habe sie dann auch nur ganz kurz gesprochen und mir den Schlüssel geben lassen. Dann war sie verschwunden, zur Arbeit gegangen. Ich habe nur mein Zeug abgeworfen kurz geduscht und bin dann zur Uni.

Fransico Toledo, der Gott der Kulturszene Oaxacas

Da nicht klar war, ob es noch einmal einen Streik geben würde, hatten man beschlossen keinen normalen Unterricht sondern eine Exkursion zu machen. Um neun sollte uns ein Minibus der Universität an der Fakultät abholen und ins Barrio de Vista von San Antonio de Etla bringen. Allerdings war wohl mit neun eher mexikanische Zeit gemeint. Bis der Wagen dann endlich kam, konnte ich noch in aller Ruhe meine Mails checken und ein wenig in TAZ und Spiegel-Online lesen. Da hätte ich gar nicht so eine Hektik am frühen Morgen machen müssen.

Im Barrio de Vista wollten wir ein weiteres Kulturzentrum und eine Papierfabrik besuchen. Beide wurden von Francisco Toledo, einem Künstler aus Oaxaca, und, wie Ariadna sich so schön ausdrückte, dem Gott der hiesigen Kunstszene gegründet. Toledo steht einer Organisation oder Stiftung vor, die viel Einfluß hat und auch nicht wenig Geld hat. Die meisten Centro Culturales hat Oaxaca wohl ihm zu verdanken.

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Das Kulturzentrum, welches wir uns anschauten befindet sich ungefähr vierzig Autominuten außerhalb der Stadt. Eigentlich recht unpraktisch, wenn man Publikum haben möchte. Aber es ist wunderschön gelegen, in einem kleine Dorf mit Blick über ein Tal auf die umliegenden Berge. Und es ist riesig. Ich dachte anfangs vor einem Schloß zu stehen. Das Gebäude bestand aus einem Haupttrakt mit großem Eingangsportal, zum dem eine ausladende Treppe hinauf führte und zwei Seitenflügeln. Zwischen diesen und der Treppe befanden sich stufenförmig angelegte künstliche Kaskaden. Ähnliche Wasserspiele gab es auch noch auf der Rückseite des Gebäudes, wo sich ein großer Hof befand.

Mit der Annahme, daß der Bau früher mal ein Schloß gewesen sei, lag ich falsch. Anna-Maria meinte, es handele sich um eine ehemalige eine Textilfabrik, die dann lange Jahre leer stand. Ende des neunzehnten Jahrhunderts und bis zur Revolution war Oaxaca sehr reich und man hatte offensichtlich genug Geld, um Industriebauten im Form von Palästen zu errichten. Und das scheint heute wieder so zu sein. Denn das Gebäude war mit großem Aufwand restauriert worden und die riesigen Hallen standen jetzt fast leer und wurden für Ausstellungen.

Die Papierfabrik, welche sich nur wenige Schritte entfernt befand, war bei weitem nicht so eindrucksvoll. Eigentlich machte nur das Hauptgebäude etwas her, wo die handgefertigten Papiere und Bücher verkauft wurden. Es erinnerte an ein Landhaus. Die Produktion fand in einer langweilig aussehenden Fabrikhalle statt, beziehungsweise unter dem Vordach eines nicht viel interessanter wirkenden Nebengebäudes.

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Interessant allerdings war, was man hier produzierte. Aus Baumwolle, Hanf, Flachs oder Wolle und den Rinden verschiedener Bäume stellte man in einen langwierigen Prozeß Papiere her. Diese wurden zum Teil zu Kitsch wie Drachen mit diversen, meiste von Toledo selbst stammenden, Motiven, zu Schmuck – Ketten, Ohrringen oder Armbändern – sowie Notizbüchern in allen Größen verarbeitet. Ein nicht geringer Teil ging aber auch unbearbeitet an Künstler, welche diese Papiere direkt bestellten.

Ganz billig war der Spaß nicht. Ein ca. A3 großes Blatt konnte schon mal 150 Peso, knapp 15 Dollar kosten, je nachdem aus welchen Ausgangsmaterialien es hergestellt wurde und wie diese verarbeitet worden waren. Manche der Rinden, welche von Indiginas in den Bergen geerntet werden, kosteten nicht weniger als 500 Peso das Kilo. Angeblich war die Ernte ein langwieriger Prozeß, bei dem Vorsicht von Nöten war, um die Bäumen nicht zu beschädigen. Aber auch die Papierherstellung dauert ihre Zeit und konnte je nach Ausgangsmaterial mehrere Wochen in Anspruch nehmen, da keine Chemikalien eingesetzt wurden. Auf Wunsch bekamen die Papiere nach dem Schöpfen und vor den Trocknen noch eine Textur verpaßt, indem man z.B. Muster mit der Hand einarbeitete oder strukturierte Stoffe aufbrachte.

Leben zu viert

Als ich am Nachmittag zurück kam waren Monika und Vanessa zu Hause. Habe die Gelegenheit genutzt ein wenig mit den Mädels zu plaudern und zu horchen, wie der Laden hier so läuft. Schließlich werden wir ja mindestens einen Monat zusammen leben. Bin mal gespannt, wie das so wird. Denn WG-erfahren bin ich ja nun überhaupt nicht. Während des Studiums habe ich zwar in einem Wohnheim gelebt, danach aber immer in meiner eigenen Bude. Oder halt beim Reisen in Hostels. Und wenn dort jemand die Küche mistig hinterlassen hat, konnte ich immer ziemlich gut drüber hinweg sehen. Irgendwann hat sich dann doch einer der Angestellten der Sache angenommen.

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Wird hier bestimmt nicht so sein. Und obwohl in der Küche überall Zettel hängen, daß man diese, insbesondere Kühlschrank und Herd, sauber halten solle wegen der Cucarachas, hatte ich den Eindruck, daß sie mal eine ordentliche Grundreinigung vertragen könnte. Mal sehen, wer die macht oder ob auch wir irgendwann bei dem bekannten WG-Streit ankommen, wer wann Klo und Küche zu putzen hat. Wird auf jeden Fall eine interessante Erfahrung sein und ich bekomme so nebenbei die Gelegenheit einmal anzutesten, ob das WG-Leben überhaupt etwas für mich wäre.

Oaxaca, die Stadt der Versuchungen

Bei meinem abendlichen Spaziergang bin ich Miguel begegnet. Hatte ihn vor knapp einer Woche kennen gelernt, als ich hier in der Gegend nach Zimmern Ausschau gehalten habe. Er betreibt in einer leer stehenden Wohnung einen Basar, eine Art Gebrauchtwarenmarkt. Neben diversen Haushaltskram, angefangen beim Fernseher bis hin zu Küchenartikeln, verkauft er auch Kosmetika, die er irgendwo günstig abstaubt. Als ich interessiert durch das Fenster in seinen Trödelmarkt schaute, winkte er mich hinein und begann mit mir über Gott und die Welt zu reden.

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Bin die Woche noch ein, zwei Mal bei ihm gewesen und wir waren am Dienstag Abend zusammen in „La Tentación“ zum Konzert von Sobredosis. Eigentlich waren wir auch für Donnerstag Abend im „Café Central“ zum Konzert verabredet. Wer nicht kam, war Miguel. Bekam da meine erste Lektion, wie genau es Mexikaner mit der Pünktlichkeit und Verabredungen im Allgemeinen nehmen. Denn nicht nur er, sonder auch Marisol, einen Freundin Miguels, die mich noch am Morgen anrief und sich nach dem Konzert erkundigte, kreuzte nicht auf. Aber bei ihr hätte ich damit rechnen müssen, wie ich später im Unterricht erfuhr. Sie benutzte den presente de subjunctivo, als sie ankündigte zu kommen. Anna meinte, das bedeute, daß sie wohl mit etwas mehr als 50%-iger Wahrscheinlichkeit vorhatte zum Konzert zu gehen. Noch schlimmer wäre es gewesen, hätte sie den Subjunktiv in der Vergangenheitsform benutzt. Dann hätte ich mit ihr garnicht rechnen dürfen. Aber auch die mir mich bisher als sicher geltenden Formen etwas im Futur auszudrücken sind bei weitem nicht so ernst zu nehmen, wie ich dachte. Allerdings gibt es da feine Abstufungen, die das Eintreten des beschriebenen Ereignisses zwischen 90 und 99 Prozent rangieren lassen. Gut zu wissen, da kann ich in Zukunft doch etwas genauer einschätzen, was meine Gesprächspartner mir sagen wollen.

Miguel entschuldigte sein Nichtauftauchen damit, daß er totmüde war, eingenickt und nicht rechtzeitig wieder aufgewacht ist. Er meinte aber, daß er sich am Abend, gegen acht mit einem Freund in seinem Bazar treffen wolle, um eine Show anzuschauen, in der lokale Rockbands vorgestellt werden. Er fragte mich, ob ich nicht auch Lust hätte zu kommen. Hinterher war man noch in einer Bar verabredet, wohin ich auch mitkommen könne.

Wollte mich nicht festlegen und sagte nur so halb zu. Wußte ja mittlerweile wie das auf Spanisch geht. Kaum war ich aber zu Hause, da klingelte das Telefon und Marisol erzählte mir von einem Treffen in einer Bar später am Abend und fragte, ob ich auch kommen würde. Nun gut, es war Freitag Abend, meine Mitbewohnerinnen waren ausgeflogen und so sagte ich zu. Hatte keine Lust alleine zu Hause zu sitzen.

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Als ich zu Miguel kam, lief zwar die Glotze, er schaute aber gerade eine Telenovella. Die Rockshow fing nämlich nicht um acht an, wie er mir gesagt hatte, sondern erst um halb neun. Da hatte ich wieder etwas gelernt. Will man, daß Leute püntklich kommen, verabredet man sich etwas eher mit ihnen. Sollte ich mir auch für zu Hause merken.

Nach der Show zogen wir beiden um in die Bar, die, wie sich herausstellte, Marisol gehörte. Es wurde ein richtig lustiger Abend. Miguel war mit einen Italiener verabredet, Andrea oder Andres, wie er sich hier nannte. Der Typ war echt spannend. Er lebt seit nunmehr vierzehn Jahren in Mexiko und praktiziert hier Reiki. Aber das war nicht das einzige, was ihn hier beschäftigte. In der Runde entspann sich bald eine rege Diskussion um alternative Heilmethoden, Spiritualität und Religion. Ich verstand zwar fast alles, war aber leider nicht so recht in der Lage mich da mit einzumischen. Das hat mich richtig frustriert, denn ich war nicht unbedingt mit allem einer Meinung.

Die Runde löste sich gegen Mitternacht auf. Und obwohl ich nach fünf Bieren und zwei Mezcal schon etwas angeschlagen war – hatte ja die Nacht nur fünf Stunden geschlafen – wollte ich noch Tanzen gehen. Hatte gelesen, daß in einer Bar anderthalb Block von meinem neuen Zuhause eine Band spielen sollte. Überredete Miguel mit mir da noch hinzugehen. Obwohl die Jungs von Sobredosis, der Band aus „La Tentación“, an der Bar rumlungerten, lief nur laute Latinomucke, zu der ein paar Leute tanzten. Wir halfen uns jeder noch zwei Biere ein – es gab an diesem Abend zwei für den Preis von einem und wir hatte dummer Weise zwei Bier bestellt – und suchten dann das Weite.

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Eigentlich wollte ich ins Bett, aber Miguel zerrte mich noch in einen weiteren Schuppen. Hier waren kaum Leute. Auf der fast leeren Tanzfläche betätigten sich zwei Typen. Ich bekam den Eindruck, Miguel hatte mich in einen Schuppen geschleppt, der von Schwulen frequentiert wurde. Als sich dann seine Hand um meine Schulter legte, war ich mir da ziemlich sicher. Jetzt verstand ich auch, warum er mich ständig fragte, warum ich nicht verheiratet sei und was ich von Homosexuellen halte. Er hatte allerdings nie auf meine Gegenfrage geantwortet, ob auch er zu den Gays gehöre, wie man sie hier nannte. Wahrscheinlich traute er sich nicht offen damit umzugehen.

Ich schob seine Hand sanft aber bestimmt zur Seite und machte ihm klar, daß da nichts laufen wird. Tut mir ja Leid für ihn, aber ich bin nun mal so was von stockhetero, daß mir solche Abenteuer nicht einmal im Schlaf einfallen würden. Ich hoffe, daß er damit leben kann.

Samstag früh rief er mich an und wollte wissen, wie es so geht und was ich über ihn und den Abend schreiben wolle. Ich hatte ihm unter anderem auch von meinem Blog erzählt. Die Sache gar nicht zu erwähnen, konnte und wollte ich ihm nicht versprechen. Es gehört nun mal zu dem, was ich erlebe und worüber ich hier berichten möchte. Würde mich freuen, wenn er mir das jetzt nicht übel nimmt. Denn als Freund ist Miguel ein echt toller Typ.

30
Jan
2008

...

Montag früh klingelte mein Telefon und Ariadna meinte, der Unterricht müsse noch einmal außerhalb der Fakultät stattfinden. Es sei wieder Streik angesagt und alle Gebäude der Uni sind deshalb geschlossen. Am Freitag wird der Tarifvertrag für die Angestellten der Universität unterzeichnet und da soll im Vorfeld noch ein wenig Druck gemacht werden. Wahrscheinlich wird sich das Spiel am Freitag auch noch mal wiederholen. Mir soll das nur recht sein, denn so treffen wir uns für die Spanischstunden in einem Café und können dort auf Kosten der Uni frühstücken.

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Diesmal, war die Runde etwas größer. Neben Anna-Maria waren noch Ivan da, sowie Tomas und Miguel, die aus England bzw. den Staaten kommen. Mit Miguel habe ich seit Ende letzter Woche gemeinsam Unterricht. Tomas ist Ivans Schüler.

Da Ivan Experte in Sachen Ökonomie ist, lag es nahe, daß wir uns weiter mit der Wirtschaft Mexikos beschäftigten. Möchte darauf jetzt nicht weiter im Detail eingehen, fand allerdings zwei Dinge bemerkenswert. Die großen, meist amerikanischen, Firmen üben hier massiven Druck auf ihre Angestellten aus. So darf Annas Tochter, die für Coca Cola arbeitet, keine Produkte auf Arbeit konsumieren, die nicht aus der Produktion ihres Arbeitgebers stammen. Noch schlimmer müssen die Verhältnisse bei Pepsi sein. Seitdem der Konzern von Mormonen übernommen wurde, wird die Belegschaft de facto gezwungen zu deren Glauben überzutreten. In einem katholischen Land, wie Mexiko, mit seinen vielen Festivitäten und seiner ausgelassenen Lebensweise kann das allerdings nur pro forma sein. Nicht desto Trotz gibt es in dem Dorf in dem Anna-Maria lebt mittlerweile einen Mormonentempel. Hier ist Pepsi der größte Arbeitgeber.

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Die Entscheidung mir eine anderes Zimmer zu nehmen, wurde mir gestern fast nahe gelegt. Es hieß urplötzlich, ich solle dreißig Peso am Tag für das Internet abdrücken. Die Frau von der Rezeption meinte, ihre Chefin hat das so angeordnet, nachdem sie mich mit meinem Laptop hat im Patio sitzen sehen. Damit fällt einer der großen Vorteile hier im Hostal für mich weg, denn die 30 Peso extra möchte ich nicht unbedingt zahlen. Habe mir deshalb gestern und heute noch ein paar Zimmer angeschaut und werde am Freitag Morgen umziehen, zu einer Mexikanerin, die neben mir noch zwei Mädels aus Texas zur Untermiete hat. Hoffe mal nur, daß da jetzt nicht die ganze Zeit englisch gesprochen wird. Habe auch gleich meine eine zukünftige Mitbewohnerin auf Spanisch zugetextet.

Es wir mir sicher nicht leicht fallen, von meinem Zimmer hier Abschied zu nehmen. Das neue ist bei weitem nicht so schön, liegt im Erdgeschoß und ist somit nicht so hell, wenn überhaupt Licht hineinkommt. Habe es nämlich nur abends, nach Einbruch der Dunkelheit gesehen. Aber der Preis ist heiß. Zahle bei Christina 1.800 Peso im Monat und wenn ich zwei Monate bleibe, zusammen 3.000. Das ist dann für zwei Monate weniger, als ich hier für eine abdrücken darf. Dafür setze ich mich doch gerne in Christinas Wohnzimmer zum arbeiten und habe auch noch das Kleingeld für den Kaffee in dem Laden, wo ich mich kostenlos ins W-LAN einwählen kann.

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Habe vor Kurzem eine tolle Sache entdeckt, die Kulturzentren oder besser Centros Culturales, wie sie hier genannt werden. Davon scheint es eine ganze Reihe zu geben. In ihnen befinden sich Ausstellungsräume, Cafés und Konzertsäle. Regelmäßig gibt es dort auch kostenlose Filmabende. Das Programm kann sich sehen lassen und hält auf jeden Fall den Vergleich mit besser sortierten Kinos in Deutschland stand. War gestern Abend in einem in der Nähe meiner neuen Bleibe und habe mir „Calender“ von Atom Egoyan angeschaut und heute Abend bin ich gleich hier um die Ecke in eins gegangen, wo Princesas gezeigt wurde.

Ich kann immer wieder nur darüber staunen, wie stark hier die Präsenz von Waffen im öffentlichen Raum ist. Und damit ich meine nicht unbedingt, daß die Geldboten die Hand an der Knarre haben, wenn sie die Geldsäcke im Laufschritt zur Bank bringen. Auch nicht, daß vor bzw. in jeder Bank ein Typ mit Pumpgun oder ähnlichem Spielzeug rumlungert. Vielmehr fällt immer wieder die hohe Polizeipräsenz auf den Straßen und die schwere Bewaffnung der Bullen auf. Heute Mittag standen im Abstand von gut zehn Metern auf einen kompletten Block verteilt bestimmt ein Dutzend der paramilitärisch aussehenden Bullen mit ihren Sturmgewehren rum. Am Abend wurde dann klar, warum sie da waren. Gegenüber befand sich eine Kirche und ein Beerdigungsinstitut. Vor letzterem drängte sich eine große Menschenmenge, die zum Großteil auch in Uniform steckten. Wahrscheinlich hatte es einen der ihren dahin gerafft und jetzt hieß es Abschied nehmen. Wozu man dafür allerdings Sturmgewehre braucht, ist mir nicht ganz klar.

27
Jan
2008

...

Wenn ich nicht von der Polizeikapelle, welche unter der Woche gegen acht auf der anderen Seite der Independencia gleich neben der Basilica de la Soledad laut loslegt, aus dem Bett geworfen werde, dann wecken mich die Vögel in dem Riesenficus vor meinem Zimmer. Das ganze Hostal gleicht einem botanischen Garten. Überall stehen große Blumenkübel mit diversen Pflanzen drin, die liebevoll gepflegt werden. Liebevoller jedenfalls, als mein Grünzeug zu Hause. Und mitten im Hof steht diese Ficus Benjamine, auf deren Krone ich direkt aus meinem Fenster blicke. In dem grünen Blätterwald müssen Heerscharen an Vögeln sitzen, die jeden Morgen in der Dämmerung anfangen zu lärmen.

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Obwohl es mir eigentlich sehr gut gefällt, bin ich am Wochenende noch einmal durch die Straßen gezogen, nach Zimmern Ausschau halten. Anfang Februar muß ich nämlich für ein paar Tage mein schönes Zimmer verlassen, da es eine Vorbestellung für alle Räume im ersten Stock gibt. Und wenn ich schon einmal ausziehen muß, dann kann ich ja auch noch einmal schauen, ob ich nicht doch noch etwas nettes, günstigeres finden. Denn gut 3.000 Peso für ein Zimmer sind in Mexiko eine schöne Stange Geld. Dafür kann man schon eine mittlere Wohnung anmieten.

Es war ein eher ruhiges Wochenende, das ich mit ein wenig Arbeit, habe angefangen an der Webseite zu bauen, die ich hier machen wollte, und Spanisch lernen verbracht habe. Hatte mir am Freitag noch ein paar Übungen zum Subjunctivo geben lassen. Irgendwann muß ich doch mal schnallen, was es damit auf sich hat. Obwohl ich immer noch nicht zufrieden mit meinen Spanischkenntnissen bin, glaube ich, daß diese schon ganz gut sind. Immerhin sitze ich immer öfter mit Mexikanern zusammen und plaudere munter drauf los.

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Habe übrigens beschlossen, mich hier jetzt Enrique zu nennen. Die Idee stammt nicht wirklich von mir, sondern einem Spanier, mit dem ich mal eine Weile in Argentinien gereist bin. Als ich ihm meinen zweiten Vornahmen nannte, meinte er, ich solle doch eher diesen benutzen. Die Spanische Form sei für die Leute in Lateinamerika gut auszusprechen. Und damit hat sich eigentlich auch einen neuer Name für das Reisen in der nicht spanischsprachigen Welt gefunden. Santa hat mich nämlich immer Henry genannt, wenn wir mal Englisch miteinander gesprochen haben.

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Traf die drei gestern Abend noch einmal in einer Cantina um die Ecke. Sie sind noch in der Nacht an den Strand, nach Masunte gefahren und wollten vorher noch ein paar Bier mit mir trinken. Der Laden war schon schräg, halt eine Cantina. Das ist sowas ähnliches wie in eine Eckkneipe bei uns, nur das diese Läden hier alles andere als gemütlich sind. Aus der Jukebox dröhnte lautstärke Musik, die man zum Glück mit dem Einwurf von einigen Pesos ein wenig beeinflussen konnte. Abgesehen von wenigen Plakaten an den Wänden war die Ausstattung eher karg. Rund Tische mit jeweils vier Stühlen dran standen im ganzen Raum verteilt und der geflieste Boden war übersäht mit Abfall. Denn alles was auf den kleinen Tischen zu viel war flog einfach herunter.
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