3
Feb
2008

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Habe die Ruhe des Wochenendes genutzt ein wenig über die Auswirkungen der neoliberalen Politik hier in Mexiko zu reflektieren und meine neue Wohngegend zu erkunden. Dabei bin ich Heiligen in der Kirche von Jalatlaco begegnet und Protagonisten ganz anderer Couleur direkt vor meiner Haustür über den Weg gelaufen.

In Veracruz und einigen anderen Städten wird an diesem Wochenende Karneval gefeiert. Hatte kurz überlegt, ob ich hinfahre. Wir haben nämlich eine Puente, einen Brückentag und der Montag ist frei. Na so richtig stimmt das mit der Puente nun auch wieder nicht. Eigentlich wäre Dienstag der Feiertag, da am fünften Februar „Tag der Verfassung“ ist. Um aber den Brückentag am Montag einzusparen, hat man den Feiertag einfach vorgezogen.

Neoliberaler Rollback

Ja auch in Mexiko ist man voll auf dem neoliberalen Trip. Nur daß hier diese Politik nicht von Grünen und sich so nennenden Roten vorangetrieben wurde, sondern von extrem konservativen Parteien. Starke Einschnitte ins soziale Netz gab es während der Regierungszeit von Vincente Fox und der PAN. Anna-Maria erwähnte, daß viele der PAN-isten, auch deren Minister, dem Opus Dei, einem erzkonservativen christlichen Orden, angehören. Angeblich kommen sie nicht selten aus Familien, die in den zwanziger und dreißiger Jahren zwei Religionskriege, die „Guerras Cristeras“, in Mexiko angezettelt haben.

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Letzte Woche hat Anna uns das Lohnsystem in Mexiko erklärt. Dieses scheint in vielem dem in Deutschland zu ähneln. Wer keinen freien Vertrag hat, welcher in der Regel ein höheres Gehalt verspricht, wird auch hier nach Tarif bezahlt. Und dann setzt sich das Gehalt aus zwei Komponenten zusammen, dem eigentlichen Grundgehalt und den Sozialleistungen. Zu letzteren zählen bezahlter Urlaub (mindestens fünf Tage im Jahr), Urlaubsgeld (15% des Lohnes der Urlaubstage), Weihnachtsgeld (der steuerfreie Lohn von mindestens fünfzehn, in vielen Fällen aber mehr Arbeitstagen – bei den Grundschullehrern z.B. sind es ganze 90) und Beiträgen zu Renten- und Krankenversicherung. Gerade bei letzteren gab es wohl stark Einschnitte. Früher teilten sich Arbeitgeber, Staat und Arbeitnehmer die Beiträge. Das wurde geändert. Neuerdings müssen die Arbeitnehmer die Beiträge allein aufbringen. Aber auch bei den anderen Sozialleistungen versucht man Abstriche durchzusetzen. Und das sind genau die Themen, um die es jetzt bei den Streiks an der Uni geht. Man will dieser Rollback-Politik etwas entgegensetzen.

Die neue Umgebung erkunden – die Kirche von Jalatlaco

Das lange Wochenende war ein willkommener Anlaß meine Nachbarschaft ein wenig zu erkunden. Und das war gar nicht so einfach. Einige Blocks weiter westlich zerschneidet die República die Stadt, trennt das Zentrum von Jalatlaco, einem malerischen Viertel, mit einer schönen, schlichten Kirche an seinem zentralen Platz. Auf dem Weg dahin habe ich mich nicht nur einmal verlaufen. Denn die República fällt völlig aus dem gängigen Straßenraster heraus, folgt nicht dem sonst üblichen Schachbrettmuster. Nicht selten enden Straßen unverhofft an ihr, während auf der anderen Seite, keinem rechten Winkel folgend, neue anfangen.

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Auch hier in Mexiko sind die Sonntage so richtig langweilig. Viele der Cafés schließen schon am Nachmittag und die meisten Comedore machen erst gar nicht auf. Die Leute ziehen gelangweilt durch die Straßen, sitzen auf einer der Plazas im Schatten, dösen vor sich hin oder plaudern miteinander. Am meisten fällt aber auf, daß viel weniger Autos unterwegs sind. Die Stadt wirkt fast wie ausgestorben. An einem solchen Tag bot es sich an, mit der Kamera im Abendlicht noch ein paar Impressionen einzufangen.

Mein Ziel war Jalatlaco, wo ich Bilder von der Kirche in der Abendsonne machen wollte. Da die Sonne noch relativ hoch stand, bin ich erst einmal in die Kirche hineingegangen. Um in dem einschiffigen Gebäude die Gläubigen nicht beim Gebet zu stören, schlüpfte ich durch eine offene Tür einen Nebenraum. Obwohl auch hier einige Stühle vor einer Art kleinem Altar standen, wirkte der Raum nicht wirklich wie eine Kapelle. Entlang der Wände waren Dutzende Jesus- und Marienfiguren, Engeln und Heiligen sowie ein großes Bild der Virgen von Guadelupe, der mexikanischen Nationalheiligen, aufgereiht. Waren das die Figuren, welche zu Prozessionen durch die Straßen getragen werden?

Ein halbes Dutzend Adolfs

Nachdem die Sonne hinter den Häusern verschwunden war, machte ich mich auf den Heimweg. Ich wollte mir in aller Ruhe die Kirchenbilder anschauen und evtl. mit Miguel noch ein Bier trinken gehen. Als ich fünf, sechs Blocks von zu Hause entfernt war, dachte ich, ich sehe nicht richtig. Ein junger Mann putzte sehr akribisch zusammen mit seiner Freundin einen funkelnagelneuen Pickup. Eigentlich nichts außergewöhnliches an einem Sonntagnachmittag, hätte mich da nicht das Konterfei Adolf Hitlers angeschaut. Riesig groß prankte es auf den beiden Hintertüren. Ich war so schockiert, daß ich gar nicht erst auf die Idee kam, zu fragen, ob man etwas dagegen hätte, wenn ich fotografiere. Ich rannte wie in Trance um den Wagen herum und lichtete nicht nur die Adolfs auf den Türen ab, sondern auch die Reichsadler auf den Sitzschohnern und das Bild von Hitler, wie er vor einer riesigen Menschenmenge steht, welches die Heckscheibe zierte.

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Ich konnte dann doch nicht an mich halten und bin zu den beiden hin und habe gefragt, warum man sich ausgerechnet Adolf Hitler auf den Wagen gemalt habe. Da erklärte mir der völlig unauffällig aussehende Mann, daß er Nationalsozialist sei. In Mexiko, mit seinen korrupten PRI-Regierungen, gäbe es keine freien Wahlen mehr. Daran müsse sich etwas ändern und deshalb stehen er und seine Kameraden für die Werte des Nationalsozialismus ein. Als ich ihm erklärte, daß es nach 1933 auch in Deutschland keine freien Wahlen mehr gab, dafür aber Millionen Tote, nahm er das ganz gelassen hin. Völlig unbeteiligt fragte er, ob ich mit den Millionen Toten denn die Juden meine. Ich hatte den Eindruck, daß ihn deren Ermordung kalt ließ.

Da fiel mir eine ähnliche Diskussion mit Miguel ein, der auch irgendwann anfing von Hitler als einem starken Führer, der viel für sein Volk geleistet hat, zu schwärmen. Was denken die Leute hier eigentlich, wie die Nazis mit ihnen umgesprungen wären? In diesem Land leben, abgesehen von einigen wenigen Kreolen und den indigenen Völkern im Süden, fast ausschließlich Mestizen. Hier fleißt in fast jedem neben indigenem Blut noch das diverser anderer Völker und Rassen. Ob es diese Menschen unter Hitler und seinen Rassengesetzen auch nur einen Deut besser gegangen wäre als jetzt hier in Mexiko, wage ich arg zu bezweifeln.

Ich war noch immer am Suchen nach Argumenten, um dem Typen klar zu machen, wie abwegig seine Ideen waren, da bat er mich ins Haus. Als ich das Wohnzimmer betrat, hat es mich fast umgehauen. Über dem Eßtisch hingen zwei riesengroße Hakenkreuzfahnen, neben der Stereoanlage standen eine bronzene Hitlerbüste und bestimmt ein halbes Dutzend Hitlerfiguren in allen erdenklichen Posen und Uniformen. Davor hatte man eine eine ganze Sammlung an Parteiabzeichen, Reichsadlern mit Hakenkreuzen, Orden und SS-Runen ausgestellt. Im Regal daneben standen unzählige Filme über Hitler und den Zweiten Weltkrieg. Und zwischen all diesen Nazi-Devotionalien saß eine alte Frau und lächelte mich an.

Während ich das alles ablichtete unterhielt ich mich weiter mit dem Mann, durchlöcherte ihn mit Fragen. Er meinte, daß es viele nationalsozialistische Gruppen im Land gebe. Hier in Oaxaca seien sie etwa dreißig bis vierzig Leute. Als ich ihn fragte, ob sie als Partei zu den Wahlen antreten, verneinte er dies. Die Frage ob er dann die PAN wähle, verneinte er ebenfalls und zwar mit der Begründung, daß diese doch konservativ sei. Er würde gar nicht wählen gehen, sagte er lächelnd. Ich hätte mich gerne noch weiter mit ihm unterhalten, doch mein Gesprächspartner wurde von seiner Freundin wieder auf die Straße gerufen. Ich verabschiedete mich von der alten Dame und verließ mit ihm das Haus. Draußen reichten wir uns kurz zum Abschied die Hand und ich bin völlig fassungslos nach Hause gegangen.
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