21
Feb
2008

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Eigentlich wäre heute mein letzter Unterrichtstag gewesen. Ich hatte aber schon beschlossen, mindestens eine Woche ran zu hängen. Und das scheint keine schlechte Entscheidung zu sein, denn der Unterricht nimmt in letzter Zeit interessante Formen an.

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Am Morgen hatte ich mich vor Santo Domingo niedergelassen, um ein wenig in meinem Vokabelheft zu studieren, als Ariadna anrief und meinte ich solle doch schon zu zehn zum „Museo de los pintores oaxaceños“ kommen. Ana-Maria sei krank und deshalb wollte sie eine Exkursion mit uns machen. Ihr Mann arbeitet in diesem Museum und führt zwei Mal die Woche Schulklassen durch die Ausstellung. Da sollten wir uns einklinken.

Also stiefelten wir vier Studenten nebst Ariadna und einer weiteren Lehrerin von der Fakultät hinter gut zwanzig Knirpsen hinterher und ließen uns erklären, was in den letzten fünfzig Jahren in Oaxaca so auf Leinwand gebannt wurde. Die Krönung der Aktion war der praktische Teil, an dem wir auch teilnehmen durften. Die Kids sollten nämlich alle eine eigene Druckgrafik anfertigen. Hatte mich schon gewundert, warum sie sich alle über ihre adretten Schuluniformen alte T-Shirts zogen.

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Alte T-Shirts hatten wir nicht mit. Nichts desto Trotz bekamen auch wir je eine mit blauer Farbe bestrichene Metallplatte vor die Nase gesetzt und sollten darauf mit einem Pinselstil rumkratzen oder mit dem richtigen Seite weitere Farbe aufbringen. Das war eine echt lustige Aktion, von der Darien sogar behauptete, daß sie mehr Spaß als der eigentliche Unterricht machen würde. Das Ergebnis meiner Bemühungen entsprach zwar nicht so ganz dem, was ich eigentlich erwartete hatte, für meinen ersten Versuch als bildender Künstler, kann es sich allerdings sehen lassen. In der Hoffnung, daß sich da neuen Perspektiven für meine weiteres Leben auftun, werde ich mein Werk in Berlin einem geneigten Publikum präsentieren.

Leben in verschiedenen Welten

Den Tag zuvor gab es ein anderes Schmankerl. An Stelle der üblichen Unterrichtsstunde schauten wir einen Film über den fünfzehnten Geburtstag eines Mädchens, das in einem Dorf nicht weit von Oaxaca aufwuchs. Der Film „XV en Zaachila“ des mexikanischen Filmemachers Rigoberto Perezcano hat wohl mehrere Preise bekommen und wurde unter anderem im National Geographic Channel gezeigt.

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Ich hatte sowohl von Miguel, als auch durch Darien gehört, daß diesem Geburtstag eine besondere Bedeutung in Mexiko zukommt und er deswegen groß gefeiert wird. Allerdings macht es schon einen Unterschied, ob das Geburtstagskind in der Stadt groß geworden ist oder auf dem Land lebt.. Hier in Oaxaca kann man die Feiern in etwa mit unserer Jugendweihe vergleichen, was die Anzahl der Gäste und die Größe der Geschenke angeht. Bei den besser situierten Familien kommt es oftmals auch vor, daß gar nicht groß gefeiert wird, sondern die Töchter eine Reise nach Europa oder das Geld für erstes Auto geschenkt bekommt.

Ganz anders auf den Lande. Dort ist der fünfzehnte Geburtstag das wichtigste Fest im Leben einer Frau, das Fest, mit dem sie Abschied von der Kindheit nimmt und nicht selten ist es das einzige Mal, daß allein sie im Mittelpunkt des Geschehens steht. Für viele, vor allem in indigenen Gemeinschaften lebende, Mädchen beginnt danach das harte Leben als Ehefrau und Mutter, in dem sie sich ganz den Bedürfnissen und Wünschen ihres Mannes und der Kinder unterordnen muß. Auch deshalb wird dieses Ereignis groß gefeiert.

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Zu dem im Film gezeigten Fest wurden um die tausend Gäste, das ganze Dorf und sämtliche Verwandten, erwartet. Die Getränke wurden mit dem LKW herangekarrt und für das Festessen ein ganzer Ochse gekauft. Da die relativ armen Leute in den Dörfern eine so große Feier nicht alleine finanzieren können, ist das ganze Dorf bei der Ausgestaltung beteiligt, steuert etwas zur Festtafel bei oder hilft das Haus herzurichten. Diese Nachbarschaftshilfe wird Guelaguetza genannt und ist fester Bestandteil des Zusammenlebens im Dorf.

Ich möchte mich jetzt nicht in weiteren Details verlieren. Wen es mehr interessiert, wie ein solches Fest begangen wird, der sollte sich den preisgekrönten Film, der wohl bei Discovery Channel und National Geographic TV lief, selber anschauen. Er gibt einen tiefen Einblick, wie archaisch die Dorfgemeinschaften im ländlichen Mexiko auch heute noch funktionieren, zeigt aber auch, daß die jungen Leute mit diesem Leben nicht unbedingt einverstanden sind.

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Ana-Maria und Paulina sahen als Hochschullehrerinnen und aufgeklärte, berufstätige Frauen die Sache eher kritisch. Beide fanden das sich darin äußernde Festhalten an der traditionellen Rolle der Frau nicht gut. Als aus dem Norden zugezogene, sind sie aber auch nicht integriert in das Leben der Dorfgemeinschaften, in denen sie jetzt leben. Die Alteingesessenen wollten sie nie wirklich akzeptieren. Vielleicht ist auch das ein Grund, daß für die beiden diese Traditionen im bestenfalls bunte Folklore sind, mit der sie persönlich nicht viel anfangen können.

Paulina erzählte, daß sie, wie auch ich, bei ihrer Ankunft in Oaxaca die Umzüge mit den überlebensgroßen Puppen lustig fand. Da hier aber jedes größere Ereignis, jede Hochzeit, jedes Jubiläum mit einem solchen Umzug begangen wird, hört man ständig Blaskapellen laut schmettern durch die Straßen ziehen, sieht man alle Nase lang die Riesenpuppen tanzend über das Pflaster wanken. Für Paulina ist das mittlerweile langweilig, wenn nicht sogar lästig geworden. Ich für meine Teil, kann mich für den Spaß immer noch begeistern, auch wenn ich nicht mehr gleich die Kamera schnappe und auf die Straße renne.
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