21
Mrz
2008

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Nun habe ich es doch noch geschafft die Leute von der TU in San Martin Itunyoso, einem Triqui-Dorf auf halbem Weg von Oaxaca zur Küste, zu besuchen. Nachdem der Trip noch einmal verschoben wurde, ging es am Montag Morgen endlich los, aber auch das nicht ohne eine kleine Korrektur des ursprünglichen Reiseplans. Es war total spannend ein indigenes Dorf mal für ein paar Tage aus nächster Nähe erleben zu dürfen. Ich hatte eine schöne, intensive Zeit da oben. Nur der Abschied wurde zum kleinen Wermutstropfen.

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Die Sache mit dem Borsalz klappte ziemlich gut, abgesehen davon, daß man in dem Laden ewig brauchte, um den Preis herauszufinden und eine Rechnung zu schreiben. Das war dann wohl auch der Grund, weswegen das Taxi utopische achtzig Peso kostete. Ich hatte es in der Annahme, daß der Job schnell erledigt sei, vor dem Laden Warten lassen.

Als ich gerade das Ticket für die Fahrt nach San Isidro gelöst hatte und im Begriff war mich im Wartesaal der kleinen Bushaltestelle niederzulassen, klingelte mein Handy. Am anderen Ende war Karina, eine mexikanische Studentin, die ich bereits in Berlin kennen gelernt hatte. Sie wollte mit Hannah ebenfalls zur Baustelle nach San Martin Itunyoso fahren, meinte aber, sie würden es nicht bis zur Abfahrt des Busses um zehn Uhr schaffen. Da ich es für eine gute Idee hielt, zusammen zu fahren, tauschte ich mein Ticket gegen eins für den Bus, der eine Stunde später fuhr.

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Der Kleinbus erreichte San Isidro, das auf halben Weg zwischen Tlaxiaco und Putla liegt, nach gut vier Stunden kurvenreicher Fahrt durch die Berge. Hier mußten wir sehen, wie wir weiterkommen. Ursula meinte, es gäbe im Ort Taxis, die nach San Martin fahren würden. Das einzige weit und breit zu sehende war aber gerade nicht frei. Eine junge Frau fuhr uns dann für fünfzig Peso mit ihrem Wagen.

Langsam schraubten wir uns die staubige Schotterpiste bergauf. Immer wieder überholten wir dabei kleine Karawanen voll beladener oder Esel vor sich her treibender Leute in den bunten Ponchos der Triqui. Nach knapp zwanzig Minuten Fahrt tauchte hinter einer Kurve das Dorf vor uns auf.

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San Martin Itunyoso liegt in einem kleinen Tal, dessen baumlose Hänge mit Häusern, oftmals Holz oder Wellblechhütten, zugebaut sind. In der Talsohle befindet sich eine riesige Plaza, welche auf der einen Seite vom hellblau leuchtenden Rathaus, auf der zweiten von einer rosa Kirche und dem noch halbfertigen Kirchturm und diesen gegenüber liegend von einer Art Markthalle begrenzt wird. Letztere schien allerdings nicht benutzt zu werden, zumindest habe ich sie nie offen gesehen. Auf der verbleibenden vierten Seite war die Plaza offen. Dort führten riesige Stufen einen kleinen Hügel hinauf und bildeten eine Art Tribüne von der man den ganzen Platz überblicken konnte.

Casa Hogar

Unser Ziel lag auf der anderen Seite des Tals. An der Plaza vorbei durchquerten wir es und arbeiteten uns auf einer staubigen Straße den gegenüberliegenden Berg hinauf. Ganz oben befand sich hinter einer hohen Backsteinmauer versteckt das Casa Hogar. Hier wollte ich die nächsten Tage verbringen.

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Bei dem Haus handelt es sich um eine Art Internat, welches von drei Nonnen geführt wird. Wie mir Mutter Beatriz erklärte, leben hier bis zu vierzig Mädchen und Jungen aus San Martin und umliegenden Dörfern, die in der Regel keinen Vater und in einigen Fällen auch beide Elternteile nicht mehr hatten. Da die allein erziehenden Mütter oder Großmütter damit oftmals überfordert waren, werden die Kinder hier von den Schwestern betreut.

Als wir kamen, waren allerdings keine Kinder zu sehen. Weil es seit mehr als einer Woche kein Wasser gab, aber auch wegen der Osterferien, waren alle bei ihren Familien. Den Schlafsaal der Jungen hatte man mittlerweile zum Baubüro umfunktioniert. In ihm sollte ich mir auch ein leer stehendes Bett suchen.

Ferienspiele

Es stimmt nicht ganz, daß es keine Kinder hier oben gab. Immer wieder sprangen einige über die Baustelle und verfolgten interessiert das Treiben dort. Der eigentliche Grund ihres Auftauchens war allerdings ein anderer. Über die Ferientage sind vier Lehrer aus D.F. nach San Martin gekommen, um mit den Kindern des Dorfes Freizeitaktivitäten durchzuführen. Das Ganze ging auf die Initiative der letzten Leiterin des Heimes zurück, welche jetzt als Schulleiterin in Mexiko Stadt arbeitet. Sie begeisterte einige ihrer jüngeren Kollegen zu dieser Reise in die abgelegenen Bergwelt Oaxacas.

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Mitte der Woche gab es ein großes Event, das mehrere Dutzend Kinder zu uns auf den Berg lockte. Nachdem der Nachmittag mit Sport, Spiel und Tanz verbracht wurde, hatte man am frühen Abend ein Lagerfeuer angezündet. Um dieses drängten sich alle, brieten Marshmellos und sangen Lieder.

Zum Abschluß begaben sich die Kinder noch auf eine Reise zu den Sternen. Nachdem das Feuer gelöscht worden war, verbanden sich alle die Augen und einer der Lehrer las eine kleine Geschichte vor. Währenddessen versprühten die anderen eine phosphorizierende Flüssigkeit. Am Ende sahen die Kinder aus, als wären sie selbst Teil des Sternenhimmels, den sie gerade bereist hatten. Sie waren begeistert, als sie die Tücher von den Augen nahmen.

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Danach gab es noch Kakao und Pan Dulce, einer Art trockenen Kuchen. Dazu wurden gemeinsam christliche Lieder gesungen. Darüber mag jetzt jeder denken, wie er will. Mir jedenfalls hat der liebevolle Umgang der Lehrer und Nonnen mit den Kindern gefallen. Immer wieder wurde von ihnen hervorgehoben, daß diese als Triqui Teil der Völker Oaxacas und Mexikos sind und somit ihnen Selbstbewutsein und Stolz auf ihre Herkunft vermittelt. Das finde ich insofern nicht ganz unwichtig, weil auf die Triqui selbst von den Mitgliedern anderer indigener Völker herab geschaut wird.

Bauen unter erschwerten Bedingungen

Für diese Kinder bauten knapp zwei Dutzend Studenten ein Gemeinschaftshaus mit Kuschelecke und Spielwiese. Und das unter Bedingungen, die nicht als ideal bezeichnet werden konnten. Nicht nur daß es seit zehn Tagen kein Wasser gab, was unter anderem hieß, daß man sich nach einem langen Arbeitstag nicht einmal vernünftig waschen konnte. Es blies hier oben auch ein eisiger Wind. Nachdem die Sonne hinter dem Horizont oder auch nur einer Wolke verschwunden war, wurde es empfindlich kalt. Das war insbesondere für die Leute ein Problem, welche Lehmsteine herstellten. Der Lehm ließ sich bei der Kälte nicht vernünftig verarbeiten, erst recht nicht mit steif gefrorenen Händen.

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Die widrigen Umstände schlugen sich auf die allgemeine Stimmung nieder. Viele wirkten erschöpft, einige leicht frustriert. Letzteres war auch dadurch bedingt, daß Zweifel am Sinn des Projektes aufkamen. Verglichen mit dem Rest des Dorfes machte das Casa Hogar einen wohlhabenden Eindruck. Brauchte man hier wirklich ein Gemeinschaftshaus? Würde das Gebäude später von den Kindern auch genutzt werden? Diese Fragen wurden in den Gesprächen, die ich geführt habe, immer wieder gestellt.

Darüber hinaus schien sich die Studenten im Dorf nicht wirklich willkommen zu fühlen. Viele sahen es als gefährlich an, alleine durch die staubigen Straßen zu gehen. Das war vor allem den aggressiven Hunden geschuldet. Am ersten Tag nach ihrer Ankunft wurde eine Studentin aus Barcelona von einem ganzen Rudel Dorfköter attackiert und leider auch gebissen. Jetzt durfte sie sich neben einer Tetanusspritze auch noch mehrere Tollwutinjektionen abholen.

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Aber auch die Dorfbewohner sollen nicht übermäßig freundlich sein. Vor allem die nicht selten schon am frühen Morgen betrunkenen Männer konnten wohl unangenehm werden. Vielleicht spielten bei den über das Dorf und seine Bewohner geäußerten Meinungen auch ein wenig die Geschichten eine Rolle, welche durch Leute von außerhalb verbreitet wurden. In denen hieß es nicht selten, die Leute hier im Ort seien Kriminelle, hier würde gestohlen und geraubt. Ein Taxifahrer soll sich sogar geweigert haben, nach San Martin zu fahren.

Eigene Erkundungen

Kurz nach Sonnenaufgang dröhnte es immer aus den Lautsprechern vom Rathaus zu uns hinauf. Dann schnappte ich mir Kamera und Recorder und drehte eine erste Runde durch den Ort. Auf dem Weg zur Plaza rannten mir laut kläffend Hunde hinterher und vom Getränkeladen grüßten die Alkoholiker mit einer Bierflasche in der Hand.

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Auf dem Platz war früh um acht schon einiges los. Vor dem Gesundheitszentrum saß fast jeden Morgen eine Gruppe traditionell gekleideter Frauen in deren Mitte ein Mann stand und Schautafeln herum zeigte. Auf dem Basketballfeld nebenan spielten Jugendliche Fußball. Und immer wieder liefen Leute an der Kirche vorbei über den Platz in Richtung Rathaus.

Dort schwang ein Mann große Reden in einer Sprache die wohl Triqui sein muß. Verstanden habe ich jedenfalls kein Wort. Hin und wieder kamen Fragen von den Anwesenden, auf die wortreich eingegangen wurde. Von Luis, dem „Außenminister“ der Gruppe, hatte ich erfahren, daß auf den morgendlichen Versammlungen gemeinsame Arbeiten besprochen und Aufträge vergeben wurden. Auch er konnte kaum jemanden mit einem Job betrauen, ohne daß der „Presidente“ des Dorfes diesen hier vermittelte.

Schwer auf Film zu bannende Farben

Am Mittwoch war, wie immer, Markttag in San Martin Itunyoso. Auf der Plaza und in den angrenzenden Straßen wurden Planen gespannt und Stände aufgebaut. Auf der einen Seite der Plaza plärrte aus den Lautsprechern der CD-Händler laut Cumbia und von der gegenüberliegenden tönte Latino-Rock herüber. Die Leute auf dem Platz schien der Lärm aber nicht zu stören.

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Auf dem Markt gab es alles was man in einem Dorf wie San Martin zum täglichen Leben benötigt. Neben den CD-Regalen hatten Klamottenhändler ihre Stände aufgebaut. Wassermelonen, Obst und Gemüse wurden gleich vom LKW verkauft und in der Mitte des Platzes saßen Frauen umgeben von Haushaltswaren, die sie an den Mann oder die Frau bringen wollten.

Dem Auge bot sich ein buntes Treiben, eine wahre Freude für den Fotografen. Überall waren die farbenfrohen Ponchos der Triquifrauen zu sehen. Leider mußte ich erfahren, warum man mich gewarnt hatte, beim Fotografieren vorsichtig sein und auf jeden Fall die Leute vorher zu fragen. Allein wenn ich nur in die Menge hinein knipste erntete ich den einen oder anderen mißbilligenden Blick. Fast alle Leute, die ich ansprach, wollten nicht fotografiert werden.

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Die Menschen in San Martin sind aber nicht alle so zurückweisend, wie das jetzt erscheinen mag. Auf der Straße oder beim Betreten eines Geschäftes wurde ich stets gegrüßt und danach gefragt, wo ich herkomme und was ich hier mache. Das konnte zum Teil recht anstrengend werden, da ich sämtlichen anwesenden Herren dann auch die schwieligen Hände schütteln mußte.

In solchen Situationen war es leichter gute Bilder zu machen. Zum Teil wurde ich direkt daraufhin angesprochen, ob ich nicht fotografieren wolle. Auf einem Hof mußte ich der Reihe nach sämtliche Damen ablichten. Der einen wurde vorher noch schnell ihr bunter Poncho übergeworfen.

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Ich glaube, Fotografieren hat hier eine ganz andere Bedeutung als bei uns. Man macht nicht einfach mal ein Bild als Momentaufnahme. Fotos werden für die Ewigkeit gemacht. So stand eine älterer Frau zum Beispiel extra auf und posierte stocksteif für das Foto, um welches ich sie gebeten hatte. Von der malerischen Szene die sich mir bot, als ich sie umgeben von ihrem Viehzeug auf dem sitzen Hof sah, ist leider nicht vile zu erkennen.

Überstürzter Aufbruch

Eigentlich wollte ich zusammen mit den Studenten über Ostern an die Küste fahren. Einige Leute hatten mich gefragt, ob ich mitkäme. Das hatte ich irgendwie als Einladung verstanden. In Putla jedoch fragte mich eine der Zimmerfrauen, mit denen ich hierher vorgefahren bin, was ich denn dort überhaupt wolle.

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Sie und ihre Kollegin gaben mir zu verstehen, daß es nicht nur ihnen, sondern der gesamten Gruppe nicht recht sei, daß ich mitkomme. Das wurde dann zwar zum Teil zurückgenommen, aber eine der Frauen sagte weiterhin, ich sei ich ihr persönlich nicht sonderlich sympathisch und daß ihr meine Art nicht gefalle. Das begründete sie unter anderem damit, weil ich mich bei meiner Ankunft nicht vorgestellt hätte. Ich war so perplex, daß mir darauf spontan keine Erwiderung einfiel, nicht einmal, daß ich im November ja schon mit allen an an der TU zusammengetroffen bin.

Auf einen Schlag war mir die Lust auf Strand vergangen. Ich hatte auch keinen Bock mit der Tür des Taxis in der Hand nachzuholen, was ich zuvor versäumt hatte und alle einzeln zu fragen, ob sie etwas dagegen hätten wenn ich die Tage mit ihnen am Strand verbringe. Ich beschloß kurzerhand nach Hause zu fahren.

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Das Klima war plötzlich auch derart frostig, daß ich nicht einmal mehr warten wollte, bis der Rest der Leute in Putla eintraf, um mich zu verabschieden. Ich bat die beiden, den anderen zu berichten, was vorgefallen war, schnappte meine Sachen und machte mich auf die Suche nach einem Bus Richtung Oaxaca.

Von diesem etwas unschönen Ende meines Ausflugs nach San Martin abgesehen, waren die Tage da oben sehr schön. Ich hatte viele interessante Gespräche mit den am Mexiko-Projekt beteiligten Leuten, im Laufe derer sich mein Bild davon auch gewandelt hat.

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Nachdem ich an zwei Tagen ein wenig mitgearbeitet hatte, verstand ich auch, warum viele recht fertig waren. Schon nach ein paar Stunden Nägel einschlagen oder Balken auf's Dach hieven taten mir alle Knochen weh. Wie mußte das erst sein, wenn man vier Wochen zehn bis zwölf Stunden jeden Tag arbeitet?

Richtig gefreut hat mich übrigens, daß Madre Beatriz zum Abschied ihre zuvor schon einmal ausgesprochene Einladung wieder ins Casa Hogar zu kommen, nochmals wiederholte. Das werde ich auf jeden Fall bei meinem nächsten Aufenthalt in Oaxaca machen. Eine bessere Gelegenheit gibt es nicht, aus nächster Nähe zu erleben, was ich aus den Gesprächen mit meinen Lehrern und den Filmen über das Leben der Indiginas erfahren habe. Und es wäre auch eine gute Idee, mehr über die Arbeit der Madres in San Martin Itunyoso zu berichten.
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